Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Zu Besuch hielten am 9. Februar 2023 Prof. Dr. em. Adelheid Biesecker (emeritierte Professorin für Volkswirtschaftslehre der Universität Bremen, wissenschaftliche Beirätin von attac Deutschland) und Prof. Dr. Uta von Winterfeld (Lehrstuhl für Politische Ökologie an der Universität Kassel und Projektleiterin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie) einen Vortrag über ihr Konzept „Externalisierung als Prinzip“. Kurz vor Erscheinen ihres Buchs „Wert ohne Herrschaft? Externalisierung als Prinzip kapitalistischer Wertbildung, Coronakrise und transformative Praxis“ stellten sie in dialogischer Form zentrale Thesen und Forschungsergebnisse der Publikation vor. Der hochschulöffentliche Gastvortrag wurde von Prof. Dr. Daniela Gottschlich im Rahmen ihres Bachelor-Moduls „Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit“ organisiert und moderiert. Die Modulteilnehmer:innen hatten vorab schon Gelegenheit, Auszüge des Buchs im Seminar zu lesen und zu diskutieren.
Adelheid Biesecker und Uta von Winterfeld gehen von der Annahme aus, dass kapitalistische Wertbildung auf Externalisierung angewiesen ist. Anders gesagt: Die sogenannte Wertschöpfungskette und die Steigerung dessen, was im Kapitalismus als Wert gilt, basieren auf der Auslagerung, Ausbeutung und Abwälzung von Arbeitskraft, Folge- und Zusatzkosten oder intensiver Ressourcenentnahme. Diesen Prozess zeichneten sie in der ökonomischen Theoriegeschichte am Beispiel von Hobbes, Locke, Smith und Ricardo nach, aber auch am Verlauf der bisherigen vier industriellen Revolutionen.
In jüngster Zeit wurde vielfach die These vertreten, dass es im Zuge der Corona-Pandemie zu einem regelrechten „Wertebeben“ gekommen sei. Die Autorinnen sehen dies kritisch, denn am Prinzip der Externalisierung sei nicht gerüttelt worden. Im Gegenteil sei beispielsweise die Sorgearbeit massiv aus dem öffentlichen in den privaten Bereich verschoben worden. Und der Digitalisierungsschub beförderte in vielen Fällen die Auslagerung von Dienstleistungen auf die Konsument:innen und eine weitere Verlagerung der Produktion in den Globalen Süden. Nicht zuletzt könne das Virus selbst als Folge eines ausbeuterischen Naturverhältnisses angesehen werden, weil immer mehr Lebensräume von Tieren durch kapitalistische Formen der Naturaneignung zerstört würden und es zu einer zu großen Nähe von Mensch und Wildtieren komme.
In der anschließenden Diskussion erörterten die Studierenden mit den Vortragenden, ob es überhaupt einen „Wert ohne Herrschaft“ geben kann. Adelheid Biesecker und Uta von Winterfeld betonten, dass das Fragezeichen in ihrem Buchtitel seine Berechtigung hat, da es Herrschaftsverhältnisse mit Sicherheit auch weiterhin gebe. Ob und wie es gelingen kann, Werte zu schaffen, ohne das Andere permanent unter das Eigene zu zwingen, ist ihrer Ansicht nach jedoch eine der drängendsten Fragen zukünftiger Gesellschaftsgestaltung. In ihrem Buch haben sie verschiedene Praxisbeispiele als wegweisende Muster für ein solches Wirtschaften beschrieben. Gerade diese Alternativmodelle können den Nährboden für eine umfassende sozial-ökologische Transformation bilden. Wir an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung werden diesen neuen Ökonomien weiter nachspüren.